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Von buerokratischen Huerden, wilden Tieren und Urwaldriesen

Februar 12, 2012

Nachdem wir am Sonntag noch die Hoehlen von Archidona besuchten – durchaus eindruecklich mit Fledermaeusen, Taranteln und versteckten Wasserloechern zum Baden – stand ich am Montag letzter Woche schon um 3.45 auf. Quito, die Hauptstadt Ecuadors, stand auf dem Programm. Mein Ziel der Woche war es, endlich das Visum zu registrieren. Nach der fuenfstuendigen Busfahrt von Tena ging es also direkt aufs Auslaenderamt, wo ich dann sagenhafte sechs Stunden auf weitere Spuren in meinem Pass wartete.  Zuerst teilte man mir mit, dass die elektronische Registrierung (welche ich schon drei Wochen zuvor gemacht hatte) nicht funktioniert haette. Daher durfte ich dies freundlicherweise an einem ihrer Computer nachholen. Da in der Dropdownliste die Schweiz („Suiza“) jedoch schlicht fehlte, schlug auch dieser Versuch fehl. Die hoefliche Hilfsperson teilte mir mit, das Problem sei bald geloest… Als ich es eine Stunde spaeter nochmals probieren durfte (ohne Vordraengeln und Dreinrufen ging nichts!), hatte sich an der Situation nichts geaendert. Also wurde ich auf eine weitere halbe Stunde vertroestet, aber – oh Wunder – die Informatiker hatten es noch immer nicht versucht. Da das Amt um vier Uhr slchliesst und es schon halb drei Uhr war, entschied ich mich, noch etwas aufdringlicher zu werden. Ich stellte mich direkt zwischen der „Kunden“-Schlange und dem Sicherheitspersonal an die Theke und starrte die Verantwortliche ohne Pause eine halbe Stunde an. Als sie realisierte, dass ich mich so schnell nicht entfernen wuerde, da hatte ich den Kampf gewonnen. Die hoefliche Dame packte ihre Handtasche und Siebensachen und machte sich auf den Weg zu den Informatikern. 30 Minuten spaeter hatte ich „Suiza“ auf dem Internetformular angeklickt und somit die erste Huerde uebersprungen . Sofort bekam ich ein E-Mail mit der Reg.nummer zugeschickt. Dank heftigem Draengeln und Zublinzeln hatte ich nur wenig spaeter das Schalter-Zettelchen in der Hand, mit welchem ich die Registrierung beantragte – notabene nach 90 Minuten weiteren Wartens.
Am Ende des Tages hatte ich zwar kein registriertes Visum in der Hand, doch immerhin die Versicherung, dass ich ebenjenes nach mind. 48 Stunden Bearbeitungszeit und vorheriger Aufforderung per E-Mail auf dem Amt abholen koenne. Da ich meine gewohnte Bleibe in Quito aus komplizierten Gruenden nicht beziehen konnte, waehlte ich ein billiges Zimmer in einem Hostel und verbrachte den Dienstag mit meiner Lieblingsaktivitaet in fremden Staedten; dem ziellosen Herumschlendern.
Trotzdem blieb ich nicht ganz untaetig. Da ich schon im Voraus ahnte, dass mich das versprochene E-Mail vom Auslaenderamt wohl nicht vor fuenf Wochen erreichen wuerde, taetigte ich einen Anruf nach Tena. Ich forderte meinen dortigen Chef auf, mir bitte ein Dokument auszustellen, worin steht, dass ich fuer eine schon lange gebuchte Dschungel-Exkursion Hunderte von US-Dollars im Voraus bezahlt haette und am Mittwoch um 18 Uhr in Tena sein musste. Dieses Dokument druckte ich dann am Mittwochmorgen aus, unterschrieb es im Namen Robbys und ging mit einem leicht nervoesen Bauchgefuehl aufs Auslaenderamt. Oh, welch ungeahnte Moeglichkeiten ein Blatt Papier in der Hand mir oeffneten! Nach einer Dreiviertelstunde verliess ich das Amt mit Visum, Pass und Registration, nahm den Trolleybus zum Busbahnhof und war tatsaechlich um 18 Uhr abends wieder in Tena.
Was jetzt noch fehlte, war der Censo, die sogenannte Einheimischenkarte. Wie die Visumsregistration muss auch der Censo innerhalb von 30 Tagen besorgt werden, um bei der Ausreise keine Busse einzufangen. Ungluecklicherweise fehlt dazu aber nicht nur in Quito, sondern in ganz Ecuador das „material“ bis mindestens Mitte Februar. Also: Am Donnerstag in Tena zur Polizei, welche mir ein Zertifikat ausstellte, das beweist, dass ich wenigstens versuchte, innerhalb der 30 Tage den Censo zu bekommen. Damit werde ich dann in ca. 2 Wochen erneut aufs Amt pilgern und, wer weiss, vielleicht klappt’s sogar.
(Kleine Anmerkung am Rande: Ecuador als Bananenrepublik zu bezeichnen, ist weder beleidigend noch stillos. Bananen sind fuer ca. die Haelfte der Exporteinkuenfte des Landes verantwortlich…)

Nachdem ich nun schon vier Wochentage im Buerokratiedschungel verbracht hatte, war es hoechste Zeit in den echten Urwald zurueckzukehren. Fuer Freitag bis Sonntag stand eine Exkursion zur Laguna de Limoncocha auf dem Programm. Nach einem kleinen Abstecher in die Araña Bar (ausgezeichnete fruchtige Cocktails) bestiegen wir Donnerstag 23 Uhr den Nachtbus Richtung Norden. Nach sechs Stunden Fahrt liefen wir noch im Dunkeln zum Ufer hinunter, verfrachteten unser Gepaeck inkl. Lebensmittel fuer drei Tage in ein Kanu und fuhren ein paar Kilometer zur versteckten Urwaldlodge. Das Klima war dort noch feuchter und waermer als auf unserer eigenen Station, was sich durch eine grosse Anzahl fliegender Insekten bemerkbar machte.
Durch die einzigartige Lage an der (Suesswasser-)Lagune war die Tierwelt eindruecklich. Eine gewaltige Anzahl unterslchiedlicher Vogelarten und verschiedene Affenrudel auf den Baeumen und in der Luft, unglaublich riesige Baeume, andere ueberraschende Pflanzen, Riesen-Taranteln und Konga-Ameisen auf dem Boden sowie Kaimane (eine Art Alligatoren), Piranhas und weitere Fische im Wasser. Dazu kam der wundersame Anblick von leuchtenden Insektenlarven auf den Blaettern von Seepflanzen in der Nacht, welche eine Art von Sternenhimmel auf dem See bildeten.
Am Ankunftstag unternahmen wir eine Erkundungs-Wanderung durch das  dicke Gestruepp des Waldes. Da man in Regenwald staendig von einem schuetzenden Kronendach beschattet wird, ist Sonnenschutz uebrigens hinfaellig. Dagegen sind lange Hosen wegen dem pieksenden Kleingetier und dornigen Straeuchern durchaus zu empfehlen. Unser Fuehrer Oswaldo (der auch auf der Station mit uns arbeitet) ist durch und durch ein Waldmensch. Er erklaerte uns viele der vorkommenden Pflanzen, erzaehlte ueber ihre Anwendungsmoeglichkeiten von Schwangerschaft, Bisswunden und Bauchschmerzen ueber Erkaeltung bis zur einfachen Verpflegung. Wenn ich ein bisschen darueber nachdenke, nehme ich den Regenwald immer mehr als riesige Apotheke, Verpflegungszentrum und Freizeitpark war – und das ist noch lange nicht alles. Er ist auch die (leider bedrohte) Heimat von unzaehligen erstaunlichen Tierarten, von welchen viele je laenger je mehr vom Aussterben bedroht sind und nochmals andere verschwinden, bevor sie von der Menschheit „entdeckt“ worden sind. Dasselbe gilt natuerlich auch fuer die Pflanzenarten. Ich freue mich darum sehr, wenn auch ihr zuhause etwas gegen die weitere Abholzung und Zerstoerung der Urwaelder unternehmt. Moeglichkeiten dazu gibt es einige: Kauft keine Produkte, welche „pflanzliche Oele oder Fette“ (aus Palmoel) enthalten, da ein grosser Teil der Abholzung fuer den Aufbau dieser Plantagen dient. Kauft keine Holzprodukte, welche nicht aus nachhaltigem Anbau kommen (FSC-Label!). Unterstuetzt eine serioese Organisation eurer Wahl, die die wertvollen Regenwaelder aktiv schuetzt (z.B. „Saufen fuer den Regenwald“ ??) traegt mit klaren Aussagen in eurem Umfeld zu einem groesseren Bewusstsein fuer die Wichtigkeit des Regenwaldschutzes bei. Damit auch die Maechtigen dieser Erde nicht mehr laenger wegschauen koennen…
Verzeiht meinen Abstecher, nun zurueck zum eigentlichen Thema dieses Blogs, die Abenteuer des V.S. in E. … Am Freitagabend also begaben wir uns mit dem Kanu auf die Lagune, um Piranhas zu fischen. Davon hatte es naemlich jede Menge! Erstaunlicherweise liess sich jedoch zuerst eine Sardine von meinem Angelhaken ueberlisten. Ich zaehlte Eins und Eins zusammen und benutzte anstelle der Fleischbrocken die Sardine als Koeder. Wenig spaeter machte ich den Fang des Tages: Ein mindestens 0.5kg schwerer, ca. 20cm langer Piranha biss an! Beim Abendessen schmeckte er vorzueglich, besser als jede Forelle. Die Zaehne hob ich als Souvenir auf, doch bald verschwanden sie auf wundersame Weise aus dem Kochtopf, in welchem ich sie auskochte. Unglaublich, wie begehrt exotische Zaehne hier sind, die beiden Zaehne der Equis-Schlange wurden mir ja auch schon im Spital abgenommen…

Am Samstag stand dann nochmals eine Wanderung im Wald auf dem Programm. Wir wurden in weitere Geheimnisse eingeweiht, zum Beispiel aus welcher Liane man pures Wassser trinken kann, wenn man sie aufschneidet. Der Endpunkt war dann ein so grosser Baum, wie ich ihn in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen habe, ein sogenannter Ceibo. Die Indigenen haben sehr viel Respekt vor dieser Baumart; er ist eine Art Heiligtum und man legt sich besser nicht mit ihm an (es drohen wueste Ameisenattacken und Kreislaufkollaps). Der Stammumfang ist so gross, dass 40 Leute mit ausgestreckten Armen nicht ausreichen, um ihn zu umschliessen. Auf jeden Fall eine sehr eindrueckliche Erfahrung.
Am Nachmittag fuhren wir mit dem Kanu auf die Mitte der Lagune und amuesierten uns beim Baden. Vor den Piranhas brauchten wir keine Angst zu haben, die waren mindestens 500m entfernt. Am Abend gingen wir dann noch auf die Suche nach Kaimanen. Sie sind sehr einfach auszumachen, denn ihre Augen leuchten im Schein der Taschenlampe ganz orange. Sie zu fotografieren, stellte sich in der Dunkelheit dann aber als um einiges schwieriger heraus… Wie dem auch sei, der Ausflug nach Limoncocha war auf jeden Fall ein grosser Genuss und wir stossen nach dem Abendessen mit einem kuehlen Bier darauf an, waehrend wir von den Moskitos gruen und blau gestochen wurden. Doch auch dafuer wurden wir entschaedigt: Eine Gruppe von Abenteurern, die gerade einen geeigneten Platz zum Zelten neben unseren Cabañas suchten, stiess dabei auf eine riesige Tarantel. Mein anfaenglicher Respekt, den ich den Leuten zu Beginn fuer ihre Abenteuerlichkeit zollte, verwandelte sich aber bald in ein mitleidiges Laecheln. Eine Teilnehmerin wurde an der Hand von einer Konga-Ameise gebissen und hockte weinend vor Schmerzen in einer Ecke, waehrend die andern verzweifelt nach Moeglichkeiten suchten, die Schmerzen zu lindern. Dabei schienen ihnen die unverzichtbaren Gummistiefel eher eine muehsame Last zu sein, anders kann ich es mir nicht vorstellen, dass sie darauf verzichteten. Ein Schmunzeln konnte ich mir nicht mehr verkneifen, als ich dann sah, dass sie eines der Zelte innerhalb der Kuechen-Cabaña aufgestellten.
Der darauffolgende Morgen startete bei einer Vogelsafari auf der Lagune und verlief ohne weitere Zwischenfaelle.

Letzte Woche verbrachten wir dann wieder auf der Regenwaldstation. Neben einer Inventaraufnahme der vorhandenen Baumarten im unberuehrten Primaerwald, saeuberten wir grosse Gebiete von wucherndem Unkraut, schlugen mit der Machete Pflanzkorridore in das Unterholz und pflanzten verschiedene Baumarten (Cedro, Mahagoni, Kakao). Da das Wetter perfekt mitspielte, konnten wir die ganze Woche praktisch ungestoert arbeiten.
Auch zwei Schlangen erblickten wir, davon eine grosse Boa constrictor und eine unidentifizierte Schwarzbraune, auf welche wir fast draufstanden, als wir von der Badestelle zurueckkehrten.
Bei der Badestelle ist ebenfalls Vorsicht geboten; der Wasserspiegel kann ohne Weiteres zwei Meter innert einer Stunde steigen. Dank stetiger Beobachtung behalten wir diese Sache im Griff, und uns entgehen auch nicht die zahlreichen Aenderungen im Flussbett, welche nach jeder Flutperiode erkennbar sind (Verschiebung von Sandbaenken, Verschwinden und Auftauchen von Baumstaemmen).

Heute Nachmittag werden wir uns noch am Provinzfest in Tena amuesieren, bevor es morgen wieder an die Arbeit geht. Naechstes Wochenende steht uebrigens der verrueckte Karneval auf dem Programm. Der Sonnenbrand, den ich mir gestern auf dem maechtigen Rio Napo zugezogen habe (unser Fortbewegungsmittel war ein schwarzer Pneu) ist zum Glueck schon fast wieder verheilt. Die Sonne kennt hier um die Mittagszeit keine Gnade und brennt durch die Wolkendecke hindurch.
Ich hoffe, dass es euch allen gut geht und sende liebe Gruesse in die Schweiz und wo ihr auch seid.